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BLOG vom: 03.05.2023

Karl Kloter – Ein Sozialist des Herzens

Gedanken zum 1. Mai in memoriam Karl Kloter (1911 – 2002), Ehrenbürger von Lengnau AG; Autor Pirmin Meier, ehemaliger Lektor des markanten  Arbeiterschriftstellers, erinnert sich mit Respekt an eine bedeutende Persönlichkeit; er wendet sich dabei an einen früheren SP-Grossrat, jetzt Autor; das tiefste an der Politik bleibt die menschliche Substanz.

 

Lieber Valentin Trentin!

Weil wir auf den 1. Mai zurückblicken, erinnere ich mich an deine linken Anfänge bei der SP, die ja einmal ziemlich weit gediehen waren, von Sekretär bis Grossrat. Selber hatte ich klar rechte Anfänge, wobei ich mit Dir aber eine gewisse Desillusionierung gemeinsam habe, was nicht mit Resignation verwechselt werden sollte.

Es gibt aber keine unbedingten Gründe, sich für seinen Startpflock zu entschuldigen. Jeder musste den Punkt seines Anfangs finden, wollte er sich bewegen, und irgendetwas war dabei fast immer richtig gesehen.

Für mich war vor etwa 45 Jahren etwas vom Bewegendsten die Begegnung mit dem Arbeiterschriftsteller Karl Kloter von Lengnau,  später Zürich und Luzern, der interessanterweise zwar in vielem radikal dachte, dies aber nie als "links" bezeichnet haben wollte. Bei der Internationalen liess er immer die Absage an Gott aus. Das war seine Freiheit des Christenmenschen, wofür ihm netterweise von Akademikern dann und wann ein unterentwickeltes Bewusstsein attestiert wurde.

Die "Linken" waren für ihn die, um 1968, die sich das Leben eines Bäckergesellen um die Festtage, die "Hungerleider an Schlaf", weder vorstellen konnten noch wollten, dafür von der permissiven Gesellschaft träumten und ein Kind lieber abtrieben als ihm eine proletarische Existenz in aufbruchsfähiger Armut zu gönnen; ausserdem war er Vegetarier und Pazifist, mit Ausnahme der Verteidigung der Schweiz gegen Nazi-Deutschland bis hin zur Bereitschaft, im Falle eines Angriffs von draussen, eigene Verräter ebenfalls nicht zu schonen, womit er aber nicht meinte, er würde sich für ein Erschiessungskommando gegen Kameraden zur Verfügung stellen, die mal mit einem Spion über eine diesem längst bekannte Handgranate geplaudert hatten. So dachte er eben, manchmal etwas simpel holzschnittartig, im Einzelfall auch nicht immer frauenfreundlich genug.

Warum ich dies erwähne? In Erinnerung an Verhandlungen um 10 Rappen mehr Stundenlohn, unterdessen sind 90 Jahre und mehr vergangen, empfand Kloter, ohne deswegen den Kapitalisten den Arsch lecken zu wollen, linke Forderungen im Einzelfall, zwar nicht generell, als "Süsswarenladen": besonders dann, wenn sie immer nur an die "anderen" gerichtet waren und nicht auch gleichzeitig an sich selber. Nichts hasste er mehr als Mitleid von solchen, die sich dabei noch als gebildet vorkamen und dies mit Solidarität verwechselten.

Diese Art Ethik eines Arbeiters machte mir schon bei der ersten Begegnung einen enormen Eindruck und erinnerte mich an das, was wir alle sollten.

In diesem Sinne wünsche ich Dir, lieber Kollege, einen "gesegneten" 1. Mai. Hast du zu deiner sozialistischen Zeit jemals eine Maiansprache gehalten?

Herzliche Grüsse

Dein Kollege Pirmin Meier, ehem. Würenlingen

 
 

Und noch etwas Nostalgie

 


Parteitag der SP Aargau in den 80er-Jahren: Zu erkennen sind RR Louis Lang † , der Kantonalsekretär Valentin  Trentin, Parteipräsident Kurt Wernli † , BR Otto Stich †, RR Arthur Schmid †, AZ- (Freier Aargauer) Redaktor Peter Stöckling und NR Max Chopard senior †.

 

Lieber Valentin

Dich inbegriffen, habe ich ausser der Frau ganz am Rande alle hier denkwürdig gekannt, Louis Lang schon 1965 interviewt, mit Kurt Wernli im Verfassungsrat gestritten, ihn als RR unterstützt und mit ihm zusammen, als er Landammann war, Gemeindejubiläen mit Ansprachen gewürdigt, Otto Stich die 6. Auflage meines Paracelsus in der Druckausgabe exklusiv gewidmet, Arthur Schmid zuerst bekämpft, später seine hohen Qualitäten erkannt, übrigens war er eng verbunden mit meinem verstorbenen Bruder Fritz, der ihn bei pädagogischen Reden unterstützte und dessen Gedenkschrift zum Schulgesetz er förderte , mit Max Chopard regelmässig gute faire Gespräche geführt im Rest. Bahnhof Station Siggenthal, geführt von den Nachkommen des ersten Lehrlings der Metzgerei Meier, meines Elternhauses, sogar über Gastarbeiter hatten wir um 1970 ein absolut vernünftiges Gespräch, das Grundproblem wurde von Vernünftigen beider Seiten, erkannt, siehe Bundesrat Schaffner.

Peter Stöckling war für mich der hochinteressante engagierte Korrespondent des Tagi, der als einziger einen langen Artikel schrieb über meine Befürwortung der Trennung von Kirche und Staat im AG Verfassungsrat, über die zu diskutieren damals bis hin zu linken Pfarrern ein Tabu war. Stöckling schrieb nie dreckig über Andersdenkende, zuletzt sahen wir uns bei der Abdankung unseres gemeinsamen Freundes Bruno Rub, hatte zwar dann beim Stehbüffet einen Schwächeanfall mit Notfalleinlieferung ins Spital, dabei tauschten wir nur begeistert-besinnlich unsere Erinnerungen aus!

Du, Valentin, gehörst dazu. Dass Kurt auch gestorben ist, dem ich noch sagte im Verfassungsrat, es nütze nichts, den Staat auf Kosten der Volksmitbestimmung zu stärken, vernehme ich erst jetzt, dabei war er, bei aller Heftigkeit der Debatte, ein hervorragender Redner, ein grundanständiger Mensch und ein bodenständiger echt nicht faschistoider Aargauer Heimatfreund mit dem Herzen auf dem richtigen Fleck! Hoffentlich liest dies seine geschätzte Witwe Elisabeth.

 

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