Textatelier
BLOG vom: 01.03.2014

Stellvertreterkonflikte in der Ukraine und anderen Ländern

 
 
Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen/Westdeutschland
 
Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren: Der Umsturz in der Ukraine ist nichts anderes als ein Stellvertreterkonflikt. Der Begriff ist in Zeiten des Kalten Krieges bekannt geworden. Es fand eine militärische Auseinandersetzung nicht bei den Hauptgegnern, etwa den USA und der (damaligen) Sowjetunion statt, sondern in anderen Ländern wie etwa Korea, Vietnam, teilweise mit militärischen Aktionen von Truppen der Hauptgegner, teilweise aber auch allein durch finanzielle Unterstützung der Akteure.
 
In den USA ist momentan zur Kosteneinsparung unter anderem eine Reduzierung der Truppengrösse im Gespräch. Zur Argumentation darüber wurde eine Aussage des ehemaligen Kriegsministers von Franklin D. Roosevelt mit Namen Henry Stimson hervorgekramt, der damals gefordert habe: „Amerika muss handeln in der Welt, wie sie ist, nicht in der Welt, die es sich wünscht.“ Diese Forderung ist nie umgesetzt worden, die USA will das Weltgeschehen in ihrem Interesse lenken, also so, wie sie es sich vorstellt.
 
In der Ukraine geht es um den Einfluss von Russland oder den USA heute und in der Zukunft.
 
Mindestens seit der Revolution 1918, aber auch schon früher, hatte Russland diesen Einfluss auf die Ukraine, bis sie 1991 unabhängig wurde. Durch wirtschaftliche und finanzielle Unterstützung und Beziehungen steht die Ukraine bis heute Russland näher als einer anderen Grossmacht.
 
Die Demokratie in der Ukraine nach dem Untergang des sowjetischen Systems leidet unter Kinderkrankheiten. Politische Kader aus dieser Zeit sind immer noch politisch aktiv. Korruption und Bereicherung einzelner Geschäftsleute und Politiker, worunter auch Julija Timoschenko zählen dürfte, führen im Land nicht zu einer Erhöhung des Lebensstandards für die Mehrzahl der Bevölkerung, sondern zu einer kleinen reichen und einflussreichen Oberschicht. Ein Teil der Bevölkerung, vor allem im Osten des Lands, wünscht sich eine engere Bindung an Russland, ein anderer Teil, vor allem im Westen, an die Europäische Union, beide versprechen sich einen Entwicklungssprung davon.
 
Für Russland ist das Land strategisch wichtig, für die EU und damit auch für die USA ebenso. Die bisherige, gewählte Regierung war für die Bindung an Russland. Dagegen wehrte sich eine wachsende Gruppe, die den Aufstand initiierte, der jetzt zu einem politischen Zusammenbruch geführt hat.
 
Deutschland hat sich auf die Seite des Aufstands gestellt, jedenfalls habe ich diesen Eindruck in den letzten Wochen bekommen. Ich gehe davon aus, dass auch eine finanzielle Unterstützung für die Aufständischen unter der Führung des ehemaligen Boxer-Weltmeisters Wladimir Klitschko geflossen ist. Es wird in den Medien betont, die Aufständischen würden die Interessen des Volks vertreten. Ob das so ist, ist fraglich. Die Mehrheit will keine Unruhen, sondern friedlich ihrer Arbeit nachgehen.
 
Es geht ganz klar um einen Stellvertreterkonflikt. Der USA kann es nur recht sein, wenn sich die Aufständischen für den Anschluss an den Westen einsetzen. Das bis vor kurzem herrschende Regime wurde durch Russland unterstützt. Der Aufstand konnte durch die politischen Kräfte nicht eingedämmt oder besänftigt werden, obwohl immer mehr Zugeständnisse gemacht worden sind. Vermutlich wurde das auch durch die USA so gewollt und gelenkt. Ein Fehler des Regimes war es, Scharfschützen auffahren zu lassen und damit Opfer, die jetzt als Märtyrer hochstilisiert werden, zu verantworten. Damit war es nicht mehr tragbar. Die Zeiten, in denen Aufstände mit Militärgewalt blutig niedergeschlagen wurden (vor 100 Jahren auch im Deutschen Reich durchaus noch üblich), führen in vielen Fällen nicht zum gewünschten Erfolg.
 
In Syrien handelt es sich aus meiner Sicht ebenfalls um einen Stellvertreterkrieg. Hier ist die Sachlage aber deshalb komplizierter, weil die Aufständischen unter sich zerstritten und ausserdem ebenso brutal und menschenverachtend vorgehen wie das Regime.
 
Auf jeden Fall entsteht nach der Entmachtung der bisherigen Herrscher in allen diesen Ländern ein Machtvakuum. Auch bei diesem Vakuum agieren im Hintergrund die Grossmächte.
 
Wie überall geht es weniger um Menschenrechte und Demokratie, sondern immer um Macht, sei es politische oder wirtschaftliche. Schon deshalb werden die anfänglich propagierten Ziele oft nicht erreicht, auch Jahre danach noch nicht.
 
Von der EU aus wird, natürlich mit ausdrücklichem Segen der USA, soviel Einfluss wie möglich ausgeübt. Wie in Zeiten des Kalten Kriegs wird von beiden Lagern aus ein Optimum zu erreichen versucht.
 
In beiden Grossmächten gibt es sowohl positive als auch negative Auswirkungen der jeweiligen Politik. Die Medien in Westeuropa werden darauf gepolt, im russischen Verhalten alle Schlechtigkeiten zu sehen und im Verhalten unserer sogenannten Schutzmächte nur die positive Seite. Politische Fehlgriffe, oft auf Kosten vieler Menschen, die ihr Leben verlieren, beispielsweise in den Stellvertreterkriegen im Irak und den nordafrikanischen Ländern, werden durch die Medien nie den USA zur Last gelegt, umgekehrt aber immer.
 
Ich sehe kein Ende der gesamten Sachlage. Die Grossmächte werden sich weiterhin in die inneren Angelegenheiten der einzelnen Staaten einmischen und durch ihre Politik versuchen, Einfluss auszuüben. In Zeiten des Kalten Krieges hiess es, der Kommunismus sei menschenverachtend. Jetzt, nach der weltweiten Einführung des kapitalistischen Systems, wird die Globalisierung vor allem aus den USA gelenkt. Die Wirtschaftsmacht USA fürchtet das Erstarken anderer Grossmächte, denn das kann nur auf Kosten gerade der USA gehen.
 
Russland bleibt also gar nichts anderes übrig, als den Gegenpart zu spielen, wenn sie nicht von den USA überrannt werden will. Da bieten sich doch Stellvertreteraktionen geradezu an. Wenn zwei sich streiten, freut sich am Ende immer ein Dritter!
 
 
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